Im digitalen Wandel ist der Kunde wahrhaftig zum König geworden und wählt nur aus Angeboten, die er für großartig hält. Während er Empfehlungen betrachtet, prüft er zeitgleich das Angebot auf seinem Smartphone oder liest, was in seinen präferierten Kommunikationskanälen besprochen wird. Dabei verhält er sich keinesfalls rein rational und logisch; seine Handlungen erfolgen dynamisch und individuell angepasst an Kontext, Stimmung und Situation. Da nur noch 20% aller geteilten Inhalte öffentlich sind und täglich rund 10.000 Markenimpressionen auf den Internetnutzer einprasseln, ist es aber gar nicht so einfach, die Aufmerksamkeit des Kunden zu erlangen und mit ihm zu interagieren. Und die Interaktion mit ihm entscheidet über Umsatz und Zukunft. Was Unternehmer lernen müssen, verrät dieser Artikel.
GESCHRIEBEN VON
Wie geht eigentlich Social Selling?
Geschrieben von André Lapehn
Zuhören lernen
Die meisten Unternehmen scheitern am Kundenverständnis, weil sie nicht aufhören können, über sich selbst zu sprechen.
Natürlich sind Marken bereits in sozialen Netzwerken aktiv, jedoch kommunizieren sie dort zu 99% „klassisch“, indem sie über sich selbst reden, statt mit ihren Kunden zu interagieren und sie bei dem, was ihnen wichtig ist, zu unterstützen. Genau dieses markenzentrische Vorgehen schafft das Gegenteil von langfristigen Beziehungen. 80% der Nutzer glauben, dass Marken sich nur aus egoistischen Gründen für sie interessieren. Um digital und analog echte Beziehungen aufzubauen, benötigt es dem amerikanischen Psychologen Carl R. Rogers zufolge Authentizität, Akzeptanz und Empathie. Übersetzt man diese Eckpfeiler einer Beziehungsgestaltung auf Marken und Unternehmen, so wäre die Authentizität vergleichbar mit Reputation und gefühlter, kommunikativer Nähe zu Unternehmen/Mitarbeiter. Akzeptanz enstpricht nutzerrelevanten Inhalten, die gegeben sein müssen, um wahrgenommen zu werden. Und Empathie ist Voraussetzung für die Gewinnung von Kundenerkenntnisse, die kundenorientierte Entscheidungen zulassen.
Marken, die heute erfolgreich agieren, haben verstanden, dass digitale Kanäle wie Social Networks, Messaging-Dienste oder Chatbots völlig neue Formen der Massenkommunikation ermöglichen, die sich signifikant von rein werblichen Botschaften unterscheiden. Diese Unternehmen nutzen die neuen technischen Möglichkeiten, um wieder nah am Kunden agieren zu können und die Beziehungen mit ihnen nachhaltig und vertiefend zu gestalten. Und das zahlt sich aus. Laut einer Statistik von CSO Insights and Seismic erzielen erhöhtes Kundenverständnis und die gestärkte Kundenbeziehung allein im B2B-Bereich folgende Effekte:
- 39% … Verkürzung der Kontakt-/Akquiserecherche
- 33% … Steigerung der Anzahl an Leads
- 31% … Ermöglichung tieferer Kundenbeziehungen
- 24% … Verbesserung der Conversionrate
- 14% … Verkürzung von Verkaufszyklen
- 13% … Steigerung der Rate von Angebot zu Auftrag
Daran erkennen Sie, dass Sie NICHT kundenorientiert agieren:
- Eigene Kanäle ≠ Kundennähe: Sie betrachten den reinen Zugang zu Kunden bspw. über Social Media bereits als Problemlösung.
- Data ≠ Kontext: Ihre Mitarbeiter haben keinen echten Kontakt zu Kunden, sondern schauen sich ausschließlich Transaktionsdaten etc. an.
- Angebot ≠ Kundennutzen: Sie verzichten bei der Entwicklung von Produkten, Kommunikation/Information im Tagesgeschäft auf echtes Kundenwissen.
- Aktuelle Relevanz ≠ Zukünftige Substanz: Sie achten nur auf das, was Sie heute verkaufen müssen, und verpassen so Veränderungen in der Erwartungshaltung Ihrer Kunden.
Social Selling – so geht‘s!
Marken müssen anfangen, dauerhaft und systematisch Informationen zu ihren Kunden zu sammeln, um entscheidende Hebel in der Kundenbeziehung zu identifizieren. Die Beziehung von Unternehmen und Kunden muss neu gedacht werden. Die aktive Auseinandersetzung mit Kunden deckt veränderte Bedürfnisse, entstehende Frustrationen und neue Bedarfe frühzeitig auf.
1. Interessenbasierte Beziehungen
Die richtige thematische Ausrichtung, die richtigen Leute: Beziehungen basieren auf Interessen.
Das Teilen und Verbinden von Interessen ist extrem beziehungsprägend. Erfolgreiche Unternehmen nutzen diese Chance und vernetzen sich als Helfer / Sparringspartner, liefern Inspiration oder verbinden Kunden untereinander. So ermöglichen sie durch den Aufbau von Plattformen aktiv den Austausch zu Themenwelten. Auf diese Weise vertiefen sie bereits bestehende Beziehungen und bauen weitere auf. Gleichzeitig lernen diese Unternehmen über die aktive und passive Teilnahme an Interaktionen von den Frustrationen, Bedürfnissen und Wünschen ihrer Kunden und sind so in der Lage, die „richtigen“ Angebote und Kommunikationsmethoden abzuleiten. Sie erarbeiten sich auf diese Weise ihre kommunikative Daseinsberechtigung, die ich gerne als „Permission to Talk“ (Erlaubnis, zu sprechen) bezeichne. Die untenstehende Matrix gibt einen Prozessüberblick.
(Quelle: André Lapehn)
Beispiel Thermomix
Ständige Weiterentwicklung der Community-Plattform (www.rezeptwelt.de). Bisher wurden 65.000 Rezepte von Fans veröffentlicht. Die Kommunikation der User in eigenen Social Networks bringt Neukunden. Mit dem „Cook-Key“ wird es möglich, Rezepte aus der Plattform an das Thermonix-Gerät zu übertragen. Berühmt ist die analoge und direkte Kundenauseinandersetzung mit 15.000 Marken-Repräsentanten 2017. Auf Thermomix-Parties erklären und begeistern die Marken-Fans neue Kunden.
2. Die Kundenperspektive
Es gilt zuzuhören und Erkenntnisse zu sammeln, um ein tieferes Verständnis für den Kunden zu entwickeln.
Kommunikation ist kompliziert. Gerade in der direkten Kommunikation haben wir es mit unterschiedlichen Menschentypen mit speziellen Eigenheiten zu tun, so dass Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl erforderlich wird. In der Praxis müssen Sie Achtsamkeit für die Motive, Ziele und Bedürfnisse Ihres Gesprächspartners entwickeln. Das kann gelingen, wenn Sie eine entsprechende Beobachterposition einnehmen, bevor Sie handeln. Dafür muss zuerst die häufig unternehmensintern vorhandene Silobetrachtung von Kanälen und Kontaktpunkten beiseitegeschoben werden. So können Sie bestehende Schnittstellen wirklich neutral betrachten. Im Anschluss kann dann die Bestandsanalyse der Ist-Situation vorgenommen werden, um:
- festzuhalten, an welchen Stellen bereits Interaktionen ausgelöst werden
- danach genau zu prüfen, welche Schnittstellen sich am besten eignen, um folgende Fragen zu beantworten:1. Was will Ihr Gegenüber? Was ist ihm wichtig?2. In welchen Momenten benötigt er Hilfe/Informationen?
3. Mitdenken und lernen: Den Kunden tatsächlich verstehen
Im nächsten Schritt geht es darum, die aus der Interaktion mit Kunden gesammelten Informationen zusammenzutragen, kritisch zu bewerten und Muster abzuleiten. So entsteht eine Absprungbasis für die Entwicklung von Lösungen, bei der die tatsächliche Hilfe für den Kunden im Fokus steht. Beispielsweise über das Herausfinden, welche Fragen von Kunden immer wieder gestellt werden, welche Informationen immer wieder gesucht werden oder mit welchen Kundenprobleme sich noch keiner auseinandergesetzt hat. Trick und Königsdisziplin zugleich besteht darin, nicht nur Probleme von Kunden über Hilfe durch Information/Interaktion zu lösen, sondern gleichzeitig auch eigene Mitarbeiter weiterzubilden bzw. hinsichtlich Kundeninteressen zu sensibilisieren. So wird eine großartige Voraussetzung geschaffen, um Kunden auf Augenhöhe zu begegnen und gleichzeitig zu lernen, was sie interessiert. Gewünschtes Ergebnis: die einzelnen Etappen kennenlernen und Inhalte zur Verfügung stellen, die auf jeder Stufe hilfreich und vertrauensbildend sind – siehe die Abbildung unten.
(Quelle: André Lapehn)
4. Interagieren und Beziehungen aufbauen: Die Interaktionsstrategie
Um in der digitalen Welt wahrgenommen und gehört zu werden, ist es notwendig, aufmerksamer Gesprächspartner und authentischer Kommunikator in einem zu werden. Interne Voraussetzung dafür ist eine erlebbare Interaktionskultur. Das bedeutet: Gesprächspartner wird immer der aus Kundensicht geeignetste Mitarbeiter.
Interaktionsformate
1:1 – Direkte Interaktion – Austausch zwischen Marke und Kunden
Die Akzeptanz einer Nachricht ist in hohem Maße abhängig vom Übermittler der Nachricht. Nicht das Logo eines Unternehmens, sondern Menschen stehen in der direkten Interaktion. Laut der „Global Consumer Pulse Research“-Studie gehört „Betreuung durch vermeintlich unqualifizierte Mitarbeiter“ zu den größten Frustrationsverursachern. Wählen Sie den für Ihren Kunden am besten geeigneten Ansprechpartner – die Person, die Anliegen tatsächlich lösen und Inhalte vermitteln kann, die dank Kompetenz, Erfahrung und Persönlichkeit den Unterschied macht.
Live-Kommunikation (Live-Streaming, Video-Blogging etc.)
Live-Streaming ermöglicht es Marken, in die direkte Interaktion mit Kunden zu gehen. Der Zuschauer ist dabei jedoch nicht passiv, sondern hat die Möglichkeit über Kommentare und Fragen direkt in das Geschehen einzugreifen. Das nennt sich „parasoziale Interaktion“. Sie ist stark personifiziert (absenderorientiert) und bedient sich der Massenkommunikation (bspw. YouTube) und Individualkommunikation (bspw. über Kommentarfunktionen) zugleich. Alleine der Umstand, dass Kommentierung möglich sind und so ein erweitertes Bild über den Sender entstehen kann, steigert die wahrgenommene Sozialität, impliziert Nähe und soziale Beziehung zu Lesern. Die aus der Interaktion heraus entstehende Beziehung wird als „parasoziale Beziehung“ bezeichnet.
Automatische 1:1-Kommunikation (Chatbots, Conversational Interfaces, E-Mail etc.)
Bei der automatischen 1:1 Kommunikation geht es um den Aufbau einer regelmäßigen Kommunikation mit potenziellen Kunden oder Bestandskunden durch relevante Informationen, Angebote und Services. Die Vorteile: automatisierte und individuelle Hilfe, 24/7-Verfügbarkeit. Das Kundeninteresse an einer bestimmten Information/Lösung wird hier im Optimalfall als Eintrittskarte genutzt, um durch passgenaue Inhalte zum richtigen Zeitpunkt Kontakte aufzubauen und zu pflegen, sie im besten Falle in eine persönliche 1:1-Kommunikation zu ziehen.
Earned Media – Begeisterte Kunden, die zu Markenbotschaftern werden
Hierzu zählen bspw. Inhalte von Kunden, in denen Eindrücke, Schnappschüsse etc. aus dem Alltag Produkte oder Services in der Anwendung gezeigt werden. Es gibt keine bessere Empfehlung! Denken Sie über Maßnahmen und Aktionen nach, die Kunden anregen, selbst Content beizusteuern.
Eigene Inhalte
Wenn wir eigene Inhalte erstellen, sollten sie selbstverständlich eine besonders hohe Nutzerrelevanz besitzen. Gewonnene Customer Insights ermöglichen es uns, Inhalte bereitzustellen, die sich der Nutzer wirklich wünscht, also ein hohes Maß an Relevanz besitzen. Diese Inhalte können wir als passive Inhalte mit Pull-Relevanz bezeichnen. Der Nutzer gelangt zu ihnen, weil er entweder aktiv sucht oder durch andere Nutzer auf sie aufmerksam gemacht wurde. Als Fähre zu den Inhalten dienen Content-Teaser. Sie gehören untrennbar zur Media Creation. Ist die Herleitung überzeugend, aber der Inhalt schlecht, so verlieren wir an Glaubwürdigkeit. Ist der Content nutzerrelevant, aber das hinweisende Format funktioniert nicht, so werden die Inhalte nicht aufgerufen.
Trending-Topics – Autarke Content-Formate zu Einzelthemen
Diesem Content-Format begegnen wir in der Praxis sehr häufig bspw. in Form eines einzelnen Bildes inklusiver kurzer Story, eines Videos mit konkreter Aussage oder durch Beteiligung an einem aktuellen Thema/Trend. Die Zielabsicht ist in der Regel Aufmerksamkeit/Awareness. Bei der Erstellung dieses „Micro-Content“ ist dringend darauf zu achten, dass der Inhalt zum Unternehmen passt, wie auch Aufbereitung und Ton für den vorgesehenen Kanal.
Influencer-Marketing
Als Influencer werden in der Regel Personen bezeichnet, die über große Präsenz, Anhängerschaft und Ansehen in der digitalen Welt verfügen. Diese Attribute verleihen ihnen die besten Voraussetzungen, durch eigene Aufbereitung und Verteilung von Inhalten nicht nur viele Menschen zu erreichen, sondern auch Meinungen zu prägen. Sie können Firmen durch Kick-Offs, Kampagnen und Aktionen erhöhte Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit verschaffen. Influencer Relations sind langfristig aufgebaut und gleichen der klassischen Beziehung zu Redakteuren.
Paid Media
Uninteressante Informationen oder belanglose Inhalte werden durch eingekaufte Reichweite weder relevanter, noch wirklich erfolgreicher. Fehlt der Nutzermehrwert oder ist keine Interaktionsstrategie hinterlegt, so nutzen auch Reichweitenverstärker nichts. Sollten Sie jedoch alle bisherigen Schritte berücksichtigt haben, so sind Paid Media ein guter Verstärker, um zusätzliche Personen zu Ihrem Interaktionsangebot zu führen. Dies gilt insbesondere für Personen, mit denen Sie bisher nicht im Kontakt stehen. Bevor Sie beginnen, entsprechende Reichweitenverstärker zu nutzen, sollten Sie sich bewusst darüber sein, welches Ziel Sie mit dem Einsatz konkret verbinden. Bspw. können das die Unterstützung von Brand Building bei Bestandskunden, die konkrete Ansprache nur von Neukunden oder die Generierung breiter Awareness sein.
Mit Content-Formaten Experimentieren
Starten Sie in kleinen Schritten! Fokussieren Sie sich zu Beginn auf eine Idee, die schnell und simpel mit echten Kunden getestet werden kann. Wenn ich Ihnen einen Tipp mitgeben darf: Sehen Sie es sportlich, beginnen Sie mit dem Training und gestalten Sie erste simple und überschaubare Experimente. Simpel meint tatsächlich simpel und ist das Gegenteil von hohen Aufwand und Kosten. Um Teams bei ihr ersten Schritten davor zu schützen, nicht doch wieder in Perfektion und Wasserfallplanung abzudriften, nutze ich gerne meine 20-5-1 Challenge: Mit maximal 20 Euro Budget einen Prototypen entwickeln, der von 5 Usern an 1 Tag getestet wird.
Zum Abschluss
1. Akzeptieren Sie, dass sich Markt und Kunde immer in Bewegung befinden.
Die permanente Optimierung der Marke auf Basis von Kundenbeziehungen und -verhalten bleibt eine ständige große Reise.
2. Verstehen Sie, dass Kundenfokussierung und -bindung alle Ebenen und Mitarbeiter betrifft.
Kundenbindung ist keine reine Marketingaufgabe. Kundenfokussierung geschieht nicht von jetzt auf gleich.
3. Sehen Sie den Kunden als Sparringspartner.
Nutzen Sie Interaktionen bewusst, um Insights zu erhalten und noch bessere Lösungen anzubieten.
4. Bieten Sie aktiv konstruktive Inhalte/Lösungen an.
Überprüfen Sie die Qualität Ihrer Kundenbeziehungen: Handeln Sie aktiv konstruktiv (aus vollem Herzen), meiden Sie passiv konstruktive (gleichgültige, von Verpflichtungen motivierte), aktiv destruktive (ablehnende, Bedeutung runterspielende) oder passiv destruktive Verhaltensweisen (ignoriert Dinge und erzählt von sich). So bauen Sie keine Beziehungen auf.